2011-01-17

Schriftrolle - Kodex - Buch - ?

Auf arte.tv nimmt Robert Darnton unter anderem zur Frage nach der Verdrängung des Buchdrucks durch elektronische Medien Stellung.


Darnton sagt in dem Beitrag:
"Das Radio hat die Zeitung nicht verdrängt, der Fernseher hat das Radio nicht verdrängt und das Internet hat den Fernseher nicht verdrängt. Ebensowenig werden elektronische Bücher das gedruckte Buch verdrängen."
Ist "Zeitung - Radio - Fernsehen - Internet" wirklich die passende historische Entwicklungslinie, an der man sich in dieser Frage orientieren sollte? Handelt es sich bei den aufgezählten Medien nicht um gänzlich verschiedene? Die Zeitung ist ein starres visuelles Medium ähnlich dem Buch. Im Falle von Radio, Fernsehen und Internet haben wir es aber mit Medien zu tun, die aufgrund der Möglichkeit auditiver und/oder visueller Bewegtheit gänzlich anderer Natur sind. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, wenn diese Medien sich nicht gegenseitig verdrängen, sondern nebeneinander existieren und sich dabei vielmehr ergänzen.[1]

Man sollte folglich eher die Entwicklung der Speicher- und/oder Präsentationsmedien[2] von Schrift betrachten. Eine Entwicklungslinie der Präsentationsmedien könnte etwa so aussehen:

Schriftrolle - Codex - Buch - Display

Man könnte auch noch weiter zurück in die Zeit von Wachs- und Tonplatten oder in Stein gemeißelter Schrift gehen. In jedem Fall kann man die tatsächliche Verdrängung einiger Präsentations- und Speichermedien von Schrift durch neuere nicht leugnen. Ob das etwas an Darnton's Behauptung ändert, das Buch würde nicht durch das elektronische Buch verdrängt werden, ist eine andere Frage. Allerdings räume ich ebenfalls dem eBook (was auch immer das ist/sein wird) keine großen Chancen im Verdrängungskampf ein, solange es nicht das offene Web als Plattform benutzt... Aber wäre es dann noch ein Buch?

[1] Empfohlen sei in diesem Zusammenhang Paul Fords Text "The Web is a Customer Service Medium", in dem er die Eigentümlichkeit des Webs im Vergleich zu anderen Medien - allerdings von einer gänzlich anderen Perspektive als hier - ausarbeitet.

[2] Bis vor nicht allzulanger Zeit fielen Speicher- und Präsentationsmedium von Schrift zusammen, d.h. diese Unterscheidung war schlicht unnötig. Papier, ein Buch, eine Schriftrolle etc. sind gleichzeitig Speicher- und Präsentationsmedium von Schrift. Erst mit der Elektrifizierung, der Binärisierung von Schrift wurde diese Differenz überhaupt sinnvoll, denn die menschenlesbare Darstellung gespeicherter binärer Schrift bedarf eines Mediums neben dem eigentlichen Speichermedium.


[via blog.sub.uni-hamburg.de]

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