2010-01-07

Kommunikation statt Information

Der Ausdruck 'Information' ist im Bibliotheksbereich wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch (wenn es etwa um das "Digitale Zeitalter" geht) allgegenwärtig. Auch in meinem Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften taucht er häufig auf. Allein, reflektiert oder diskutiert worden ist er in diesem Rahmen überhaupt nicht. [1] Ein solcher Mangel an Reflexion in Kombination mit der verbreiteten Orientierungslosigkeit von BibliothekarInnen und Bibliotheken in der Fortentwicklung des Bitzeitalters hat mich zu der Auffassung gebracht, dass eine Selbstverortung des Bibliothekswesens dringend nötig ist. Ein Bewusstsein der eigenen Rolle und der damit verbundenen Aufgaben verlangt allerdings nach grundlegenden Fragen wie: Was tun wissenschaftliche Bibliotheken? [2] Was heißt überhaupt 'Wissenschaft' und was ist ihre gesellschaftliche Rolle? Welchen Status hat das Konzept 'Information' und wie fassen wir es auch und gerade in Abgrenzung zu 'Daten', 'Wissen', 'Kommunikation', 'Quelle', 'Text' oder gar 'Schrift'?

Eine Frage Edward Corrados auf Twitter und die Antworten darauf (siehe meine Zusammenstellung rechts und die Tweet-Urls unten [3]) zeigten, dass auch interessierte und "informierte" BibliothekarInnen  keinen klaren Begriff von 'Information' in Abgrenzung zu 'Daten' und 'Wissen' haben, der für eine grundlegende Analyse taugt, die wiederum Ausgangspunkt für die Gestaltung des stattfindenen Wandels sein könnte. (Ich nehme mich von diesem Urteil nicht aus.) Vielleicht sollten wir einfach mit einer anderen Fragestellung beginnen...

Was ist die Hauptaufgabe von Bibliotheken?

Die landläufige Auffassung von der Kernaufgabe von Bibliotheken (wissenschaftlichen wie öffentlichen) lässt sich in etwa so zusammenfassen: Bibliotheken sammeln, erschließen und bewahren Informationen, die sich auf unterschiedlichen medialen Trägern befinden und machen diese den NutzerInnen mittels Retrievalangeboten auffindbar und über Ausleihe usw. zugänglich. Zurecht wird diese Auffassung zunehmend aufgrund ihrer Bestandszentrierung kritisiert, die einer Kunden- und Serviceorientierung zuwiderläuft.

Plädoyer für einen Perspektivwechsel

Ich plädiere für einen Perspektivwechsel in der Betrachtung der Rolle von wissenschaftlichen Bibliotheken: Weg von der Fixierung auf einen diffusen und fruchtlosen Informationsbegriff hin zu einer Analyse der kommunikativen Funktion von Bibliotheken. Dieses Plädoyer weist eine deutliche Parallele auf zur erwähnten Forderung nach mehr Nutzer- und Serviceorientierung statt der traditionellen Bestandsorientierung und liefert eine theoretische Unterfütterung dieser Forderung.

Lasst uns also nicht von Information, vom Bestand der Bibliothek sprechen, sondern von ihrer Rolle als Ermöglicherin der Kommunikation zwischen WissenschaftlerInnen. Ich bin überzeugt, dass eine solche Betrachtung das Potential hat, die Entwicklung der wissenschaftlichen Bibliotheken im  Bitzeitalter nachhaltig zu beeinflussen. Als Nebenerscheinung wird ein solcher Ansatz die zahlreichen und gravierenden Unterschiede zwischen wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken hervortreten lassen, die ein informationszentrierter Ansatz eher verdeckt.

Die Kommunikation in der Wissenschaft ist in den letzten Jahren zunehmend zu einem Thema wissenschaftlicher Betrachtung geworden, vor allem im angelsächsischen Raum. [4] In der Bibliothekswelt ist die Wichtigkeit dieser Untersuchungen für die eigene Arbeit weitestgehend unerkannt geblieben. [5] Dies ist umso erstaunlicher, wo wissenschaftliche Bibliotheken doch bisher konstitutive Bestandteile der wissenschaftlichen Kommunikationsinfrastruktur waren und damit ihre ganze Existenz auf das Engste an die wissenschaftliche Kommunikation gekoppelt war und ist.

Agenda

In den nächsten Monaten (leider muss ich ja in der nächsten Zeit auch noch "studieren", was momentan heißt vorgesetzte Aufgaben zum Wohlgefallen von DozentInnen in einem vorgegebenen Zeitrahmen zu erledigen) werde ich mich in einer Reihe von lose zusammenhängenden Beiträgen dem Thema "Kommunikation in der Wissenschaft und die Rolle wissenschaftlicher Bibliotheken" widmen. Zunächst werde ich versuchen, die - im 19. und 20. Jahrhundert verfestigte - Rolle wissenschaftlicher Bibliotheken in der Wissenschaftskommunikation zu fassen um anschließend die wichtigsten Entwicklungen und Einflüsse im Bitzeitalter zu identifizieren. Daran anschließend sollen schlussendlich Perspektiven und mögliche Strategien für wissenschaftliche Bibliotheken aufgezeigt werden. Da das Ganze hier in einem Blog und nicht in einer wissenschaftlichen (Print-)Zeitschrift geschieht, wird es naturgemäß eher ein Tasten, Fragen und Experimentieren mit dem Ziel, die wesentlichen Dimensionen einer nötigen Analyse herauszuarbeiten und in Beziehung zu setzen. Und natürlich hoffe ich auf fruchtbare Anmerkungen und Kritik von Seiten der Leserschaft...


[1] Die Annahme, dass in einem Studium die Grundbegriffe der Zunft geklärt würden liegt doch nahe. In meinem (Erst-)Studium der Kommunikationswissenschaften gab es jedenfalls eine Vorlesung, die sich zwei Semester grundlegend mit Sprache und Kommunikation befasste.

[2] Ich befasse mich hier ausschließlich mit wissenschaftlichen Bibliotheken und bin der Meinung, dass sich nur wenig aus einer Analyse wissenschaftlicher Bibliotheken auf öffentliche Bibliotheken direkt übertragen lässt. Viel mehr lässt sich wahrscheinlich aus den Unterschieden lernen. Ich bin der Auffassung, dass die Aufgaben von wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken - gerade wenn man sie aus dem Blickwinkel ihrer kommunikativen Rolle betrachtet - sehr verschieden sind. Meines Erachtens sollte folgerichtig eine Trennung dieser beiden Bereiche im Studium erwägt werden.

[3] Das komplette Twitter-Frage-Antwort-Spiel umfasste folgende Tweets (in chronologischer Reihenfolge):
[4] Siehe meine Quellensammlung zum Thema unter http://www.bibsonomy.org/user/acka47/scholarly_communication.

[5] Eine rühmliche Ausnahme im deutschsprachigen Raum ist ein Artikel von Rafael Ball mit dem Titel "Wissenschaftskommunikation im Wandel - Bibliotheken sind mitten drin". Auch