Wie bekommen wir die Offliner dazu, an der bibliothekarischen Online-Diskussion (in Blogs etc.) teilzunehmen bzw. sie überhaupt erst wahrzunehmen?
Für die, die nicht alles lesen wollen, hat Lambert Heller in einem Kommentar mal die im Hinblick auf diese Frage genannten wichtigsten möglichen Aufgaben und Handlungsbereiche zusammengefasst. Ich stelle diese Ansätze hier nochmals verkürzt dar:
- Interessante Online-Texte in die bibliothekarischen Printmedien tragen, um die Online-Welt sichtbarer zu machen und neue Besucher und Mitdiskutierer zu locken.
- Online-Artikel (als RSS-Feed) aggregieren, um so einen schnelleren Überblick über die bibliotheksrelevanten Online-Publikationen zu ermöglichen.
- Aufbau eines "Overlay-Journals", in dem interessante Veröffentlichungen zu bestimmten Themen ausgesucht und gesammelt werden. Diese Vorauswahl soll den Online-Faulen den Zugriff auf relevante Web-Publikationen erleichtern. Dass ein Overlay-Journal auch gedruckt erscheinen sollte, wird in der Diskussion allerdings von vielen abgelehnt.
"Egal, wie kommuniziert wird, es sollte diskutiert und nicht nur verkündet werden. Festzustellen ist dazu, dass zu wenig und fast ausschließlich ritualisiert kommuniziert wird. Projektberichte sind ... meist offene Briefe an die Projektgeber ohne größeren Mehrwert für die Fachöffentlichkeit. Die Bibliothekswesen haben immer noch keinen Blog auf offene Kommunikation."Wann ist Fachkommunikation?
Ich verfolge diese Diskussion, weil auch ich mir eine Fachkommunikation über alle Aspekte der Bibliotheksarbeit wünsche, die den gemeinsamen Lern- und Bildungsprozess bestmöglich vorantreibt und dafür sorgt, dass die Arbeit von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, von Bibliotheken und Verbünden sich sehen lassen kann. [1] Ich möchte hier zunächst versuchen, das Ganze nochmal von der grundlegenden theoretischen Frage aufzurollen: Was macht überhaupt eine gute Fachkommunikation aus?
Auch ich beschränke mich hier - wie die gesamte bisherige Diskussion - auf die öffentlich dokumentierte Kommunikation, d.h. auf veröffentlichte schriftliche Fachtexte. [2] Die mündliche Fachkommunikation wird hier also ausgeklammert, so interessant und relevant sie auch ist. [3]
Ich sehe zwei notwendige Bedingungen erfolgreicher schriftlicher Fachkommunikation:
- Zugang zur Fachliteratur
- Kritischer Anschluss an bestehende Texte
Damit Fachkommunikation stattfinden kann, müssen alle an ihr Beteiligten Zugriff auf die Fachveröffentlichungen haben. (Ich hatte diese Notwendigkeit auch mal in einen Aphorismus gefasst.) Um diesen Zugriff zu garantieren, sollte es keine Preisbarrieren oder technischen Schranken geben, die einen Zugriff durch Interessierte erschweren oder gar verunmöglichen. Kurz: Fachtexte sollten Open Access publiziert werden. Der Ruf nach Open Access ist nichts Neues und wurde auch von verschiedenen Personen in der Diskussion getätigt, weshalb ich das Thema hier nicht weiter auswalzen möchte.
Wichtig ist hier zu erwähnen, dass der Zugang über einen langen Zeitraum hinweg ermöglicht werden muss, denn Fachkommunikation findet u.U. über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte statt. Der Erfolg und Misserfolg onlinebasierter Fachkommunikation ist naturgemäß stark an die Frage nach funktionierenden Mechanismen der Langzeitarchivierung gekoppelt.
Es bleibt nur zu fordern: Öffnet die Postillen und macht sie zu Publikationen, die wirklich frei öffentlich zugänglich sind und zwar für alle und nicht nur für jene, die das nötige Geld oder einen Bibliotheksausweis haben!
Kritischer Anschluss
Ein wesentlicher Bestandteil von Fachkommunikation ist der kritische Anschluss an bestehende Texte. [4] Dies schließt unter anderen folgende Handlungen ein: gründliches Lesen, um einen Text hinreichend zu verstehen; Kommentieren, um die eigene Perspektive ins Spiel zu bringen; Paraphrasieren, um zu zeigen, ob und wie man etwas verstanden hat; Kritisieren, indem man Widersprüche aufweist und Unterscheidungen als nutz-, sinnlos oder diskriminierend herausstellt; zustimmend Verweisen und zusammenfassen, um an bestehende Texte anzuknüpfen und und und.
Was Fachkommunikation nicht ist: ein bloßes Verkünden und Anpreisen der eigenen Erfahrungen, Produkte und Projekte, möglichst allgemein gehalten, um keine Reibungsfläche für kritische Anknüpfungen zu bieten; oder das Zitieren aus anderen Texten, ohne diese gründlich gelesen zu haben. Fachkommunikation heißt auch nicht rechthaberisch oder verächtlich auf andere Texte zu reagieren, sondern den Mitdiskutanten den nötigen Respekt zu zollen.
Es folgt das Desideratum: Knüpft kritisch an Fachtexte an, seien dies Zeitschriftenartikel, Bücher, Blogposts, Mailinglistenbeiträge etc.
Anforderungen an Zeitschriften
Jakob Voß hat im Laufe der Diskussion fünf Forderungen für Fachzeitschriften aufgestellt, die Christian Hauschke um eine weitere wichtige Forderung ergänzte. Ich gebe diese sechs Forderungen hier wieder, weil auch ich sie in diesem Zusammenhang für wesentlich halte und uneingeschränkt unterstütze:
Der zweite Punkt - die Forderung nach Verlinkbarkeit - ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, weil Verlinkbarkeit und damit Adressierbarkeit eben notwendige Bedingung ist, um explizit an einen Text anzuknüpfen. Würden sich sämtliche bibliothekarische Fachpublikationen an diese sechs Regeln halten, so hätten wir für die Fachkommunikation zumindest schon mal eine optimale Infrastruktur, die die Forderungen nach Open Access und dauerhafter Anschließbarkeit erfüllt.
- Open Access (d.h. bei gedruckten Artikeln, dass sie zeitgleich online verfügbar sein müssen)
- Verlinkbarkeit einzelner Artikel
- Archivierung in einem Repository.
- RSS-Feed über die einzelnen Artikel und Ausgaben und
- Kommentarfunktion (bei Bedarf moderiert).
- Möglichst (auch) als HTML veröffentlicht.
Zwar ist die funktionierende technische Infrastruktur notwendige Bedingung von Fachkommunikation, viel wichtiger aber ist eine "Kultur des kritischen Anschlusses". So wie ich das bisher wahrgenommen habe, stehen viele bibliothekatrische "Fach"-Texte nur für sich allein da (sie "verkünden") und beziehen sich allenfalls oberflächlich auf andere Texte. So etwas ist eher als Simulation von Fachkommunikation zu bezeichnen, als dass wirklich fachkommuniziert wird.
Dass eine fruchtbare Kommunikationskultur entsteht, gefördert und gepflegt wird, dafür muss letztlich jede Profession selbst sorgen...
[1] Im Übrigen finde ich es sehr interessant, dass auf einmal in bibliothekarischen Kreisen über Fachkommunikation gesprochen wird, sobald es um das eigene Fach geht. Ansonsten wird ja eher über Fachinformation gesprochen, die (z.B. in Fachzeitschriften) einfach vorhanden ist und nur gesammelt, erschlossen und zugänglich gemacht werden muss. Zur - hier nicht thematisierten - Rolle der Bibliothek als Ermöglicherin von Kommunikation hoffentlich irgendwann mehr...
[2] Ein Fachtext wird nicht durch seinen Publikationsort definiert, d.h. ein Text wird nicht dadurch zum Fachtext, weil er in einer "Fach"zeitschrift erscheint (und in der Tat gibt es in solchen Zeitschriften viele Texte, die ich nicht als Fachtexte bezeichnen würde). Meines Erachtens definiert sich ein Fachtext über seinen Inhalt und seine Form sowie über seine öffentliche Zugänglichkeit und Adressierbarkeit. Es gibt eine Menge Blog- wie Mailinglistenbeiträge, die ich als Fachtexte klassifizieren würde.
[3] Ich möchte nur einmal ausdrücklich das BibCamp loben, dass - im Vergleich zu den klassisch durchorganisierten formellen Tagungen mit ihren so langen wie langweiligen Frontalveranstaltungen - in meinen Augen eine ideale informelle Plattform für eine spannende und fruchtbare mündliche Fachkommunikation darstellt. Am Beispiel des BibCamps müssen sich andere Versuche organisierter persönlicher Fachkommunikation messen lassen.
[4] Da es sich um Fachkommunikation handelt, sollten diese Anschlüsse natürlich durch entsprechende Verweise explizit gemacht werden, was ja online der Hyperlink erleichtert, während man offline noch die gute alte Fußnote setzen muss. Und damit diese Links auch in Zukunft verfolgt werden können, ist es wichtig, dass die Adressen der referenzierten Texte stabil sind.